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17.09.2020

Deutsch-Mexikanische Wirtschaftsbeziehungen: Interview mit Andreas Müller (AHK Mexico)

Mexiko ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands in Lateinamerika. Andreas Müller spricht über die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Mexiko, vor und unter der ersten linken Regierung in der Geschichte des nordamerikanischen Landes, die Vorhaben der Bundesregierung, die Aufgaben der AHK für die deutsche Industrie, die Folgen der Corona-Pandemie und die künftige Perspektive.

Andreas Müller ist stellvertretender Geschäftsführer und Leiter der Abteilung für duale Ausbildung der deutschen Auslandhandelskammer (AHK) in Mexiko. Er ist seit 12 Jahren dort tätig, zuvor war er bei der österreichischen Außenhandelsstelle und in der EU-Delegation in Mexiko für wirtschaftliche Themen und Kooperationsprojekte zuständig.

JF: Herr Müller, wie wichtig ist Mexiko für Deutschland?

AM: In Lateinamerika ist Mexiko der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Es war früher immer Brasilien und wurde mittlerweile von Mexiko überholt. Es ist kein Wunder, denn Mexiko ist durch seine vielen Freihandelsverträge sehr stark in den Welthandel eingebunden. Man muss auch wissen, dass Mexiko insgesamt mehr Exporte hat als gesamt Lateinamerika. Zudem ist Mexiko, aufgrund seiner Nähe zu den USA und diesem sehr wichtigen Markt, für Deutschland maßgebend.

JF: Wie war die Lage der Deutsch-Mexikanischen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen in den vergangenen Jahren?

AM: Ich denke, wir hatten einen starken Anstieg nach der Wirtschaftskrise 2009. Die folgenden Jahre waren etwas kompliziert, jedoch ging es ab 2012, 2013 wieder stark bergauf, auch weil Mexiko einen starken Anzug an Investition im Automobilsektor hatte. Volkswagen baute 2014 eine neue Motorenfabrik, dann kamen viele neue Automobilhersteller, die dieselben Vorhaben hatten, unter anderem japanische Firmen mit Honda und Mazda. Dann kam die Nachricht, dass Audi eine Fabrik in Mexiko bauen wollte, anschließend auch BMW und Mercedes. Die Jahre 2015 bis 2018 waren sehr stark geprägt von einem unglaublich starken Wachstum im Automobilsektor. Neue Premiumhersteller kamen, die sie sich eben für Mexiko entschieden. Nun hat Mercedes-Benz eine neue Kooperation mit Nissan. Hierfür muss man drei Kulturen unter einen Hut bringen: die Japanische, Mexikanische und die Deutsche. Es ist also ein spannendes Projekt und wir waren als Kammer in verschiedene Themen miteingebunden, hauptsächlich bezüglich der Fachkräftesicherung. Wir arbeiten intensiv an Themen der Ausbildung von Technikern, also die duale Ausbildung.

JF: Ist das eine wichtige Aufgabe der AHK?

AM: Richtig, mittlerweile ist das unser größter und wichtigster Teil unserer vielen Geschäftsbereiche. Auch das ganze Thema der Delegationen und Unterstützung deutscher Firmen bei Markteintritt. Dies ist jedoch in den letzten Jahren sehr stark zurückgegangen, nachdem sich viele Unternehmen hier eingerichtet und ihre Wertschöpfungskette etabliert hatten. Beim Punkt der Fachkräftesicherung wird weiterhin stark gearbeitet.

JF: Welche Ziele verfolgt denn die Bundesregierung bei der Handelsförderung und der Wirtschaftskooperation mit Mexiko?

AM: Eine Aufgabe ist es, hauptsächlich deutsche Firmen auf dem Weg nach Mexiko zu helfen. Die deutsche Botschaft arbeitet neben der AHK mit einer weiteren Institution zusammen – die Germany Trade & Invest. Letztere übernimmt quasi die ganzen Aufgaben der Marktbeobachtung. Sie ist eine Auslagerung des Wirtschaftsministeriums in Deutschland mit Korrespondenten weltweit. Sie behandeln zwei Themen: zum einen, wie gesagt, die Marktbeobachtung und zum anderen versuchen sie, Investitionen nach Deutschland zu bringen. Im Rahmen der Marktbeobachtung schreiben sie ständig Marktstudien. Es werden gemeinsam mit der Botschaft verschiedene Themen vorgestellt, die wir dem Wirtschaftsministerium nahelegen. Da besprechen wir, in welchen Sektoren man am besten deutschen Firmen in Mexiko unterbringen könnte und auf dieser Basis entwickelt dann das Wirtschaftsministerium durch das „Markterschließungsprogramm“ eine Analyse. Dieses Programm fungiert weltweit und dort werden all die genannten Themen zusammengetragen. Anschließend schauen wir, welche Sektoren man am besten in Mexiko unterstützen kann, es werden Ausschreibungen gemacht, Delegationen durchgeführt. In den letzten Jahren war die Automobilbranche sehr wichtig, aber auch die Gesundheitswirtschaft, also vor allem medizinische Geräte. Denn in Deutschland gibt es einen großen Mittelstand, der sehr innovativ ist. Wir versuchen sie in Mexiko auf den Markt zu bringen. In den letzten Jahren haben wir dafür kleine Messen oder Vortragsveranstaltungen für unsere Mitglieder, aber auch für deutsche Firmen, die neu in den Markt kommen wollten, durchgeführt. Für uns ein weiterer sehr wichtiger Sektor ist schon jahrelang – momentan ist das etwas schwieriger – das Thema Energie, also erneuerbare Energie und Energieeffizienz. Jedes Jahr finden auch meist zwei vom Wirtschaftsministerium in Deutschland finanzierte Delegationsreisen statt. Auch der Bergbau wird von der Bundesregierung unterstützt, auch dieses Jahr noch. Dahingehend ist Mexiko natürlich sehr wichtig, obwohl die großen Investitionen hier kanadisch oder aus den Vereinigten Staaten sind, aber auch von großen nationalen Firmen stammen. Auch das Thema Wasser versuchen wir immer wieder zu bearbeiten, im Bereich der Umwelttechnologien. Zuletzt das Thema Luftfahrt, als logische Entwicklung nach dem Automobilsektor, da dank der Automobilbranche die Fachkräfte und die Erfahrung eben schon vorhanden sind. Dort versuchen wir auch, deutsche Firmen nach Mexiko zu bringen.

JF: Inwiefern sind deutsche Investoren und Unternehmen interessiert, in Mexiko zu investieren und warum?

AM: In den letzten Jahren gab es starke Investitionstätigkeiten durch die neuen Automobilhersteller, eine neue große Welle. Dies ist aber mittlerweile abgeebbt, schon seit Ende 2018. Es hätte im Rahmen der Nachverhandlungen des NAFTA (North American Free Trade Agreement) mit den USA einen Schub geben können, jedoch sehen wir momentan davon ab, Mexiko als Investitionsstandort zu promoten, nicht wegen der Pandemie-Situation, sondern leider auch wegen der Aktivitäten der mexikanischen Regierung. Leider handelt sie wenig und kontraproduktiv. Es geht hierbei nicht darum, was gemacht wird, sondern wie. Die Art und Weise, wie Gesetze nicht eingehalten werden oder versucht wird, drumherum zu gehen. Das sind Dinge, die uns beunruhigen und deswegen sagen wir momentan eher: es ist leider nicht der beste Moment. Mittelfristig kann sich die Situation verändern und die deutschen Unternehmen, die hier sind, planen langfristig zu produzieren. Zum Beispiel ist Volkswagen bereits über 60 Jahren hier, Bosch oder Siemens seit 125 Jahren. Aufgrund dieser langjährigen Beziehungen wird Mexiko interessant bleiben, auch aufgrund der geographischen Lage zu den USA und auch die jetzige Regierung, obwohl sie eher linkspopulistisch ausgerichtet ist, hat nie das Grundkonzept der letzten 30 Jahre der Wirtschaftspolitik Mexikos in Frage gestellt.

JF: Mexiko erlebte 2018 eine politische Wende mit der Wahl des ersten linken Präsidenten Andrés Manuel López Obrador. Wie betrachtet die AHK die Handels- und Wirtschaftspolitik unter seiner Führung?

AM: Es war ein tiefgehender Politikwechsel. Entscheidend ist jedoch die starke Legitimierung dieser Regierung. Ich denke, es war durchaus nötig und eine gewisse Befriedung, dass der Präsident endlich mal gewinnen konnte. Auf der anderen Seite gibt es die große Herausforderung, die das Land mit den „vielen verschiedenen Mexikos“ hat und die hier parallel nebeneinander existieren. Sowohl im Süden, Südosten, aber selbst auch in den großen Städten und Ballungszentren. Diese große Herausforderung war auch ein bisschen die Grundlage dieses Politikwechsels. Aus unserer Perspektive ist es sehr fraglich, ob sie mit den Instrumenten, die die Regierung zur Hand nimmt, dazu führen wird, dass es zu einer sozialen Kohäsion führen wird. Die jetzige Regierung konzentriert sich auf den großen Sektor der „Nichtprivilegierten“ Mexikos, von denen es sehr viele gibt. Fast 60% der Bevölkerung arbeitet in nicht-formalisierten Arbeitsverhältnissen. Viele Menschen haben keine soziale Absicherung. Der Ansatz dieser Regierung ist, den „am Ärmsten“ Geld zu geben, vor allem durch von ihnen entwickelte Programme für junge Leute, die die Zukunft konstruieren, für ältere Leute und natürlich die vielen Menschen auf dem Land. Man versucht die Zwischenorganisation auszuschalten, da man dort Korruption gesehen hat. Es ist klar, dass diese Institutionen durch Korruption unterwandert waren. Aus der deutschen Sicht, die wir sehr an Institutionen hängen, ist die Lösung, die Institutionen über Bord zu werfen nicht unbedingt die richtige. Korruption wird so nicht ausgeschaltet, eher müssen sie so reformiert werden, dass dort Transparenz herrscht, und dadurch Korruption beendet wird. Das Ausschalten führt nur dazu, dass Korruption in ein anderes Niveau gebracht wird. Ohne Zwischenorganisation dazwischen, ist die Effektivität nicht gewährleistet. Die Lösung jetzt, die Institutionen abzuschaffen, ist unser Meinung nach nicht der richtige Weg. Das Problem für uns als deutsche Wirtschaft in Mexiko ist, dass die Transparenz eher abnimmt, die Institutionen weg sind und die Kontrolle fehlt, wenngleich nicht alle korrupt waren. Viele Institutionen wurden durchaus professioneller und mit vielen Beamten aufgebaut, wie beispielsweise das Patentamt. Weitere wie Wettbewerbsamt, Telekommunikationsamt und das Energieamt, die zusammengeführt wurden. Das sind alles Institutionen gewesen, die sich doch alle professionalisiert und entpolitisiert hatten. Diese sollte eigentlich dazu führen, Transparenz herzustellen. Diese wurden nun abgeschafft und entzieht dem Markt Transparenz und Planbarkeit. Alles wird viel stärker politisiert, gerade im Energieberiech, das Thema erneuerbare Energien, wo nicht nachvollziehbare, sehr „alte Ideen“, die die Regierung anbringt, und die leider auch zu einer sehr unguten Zeit führen, wo Erdöl nichts mehr wert ist. Die Entwicklung des Landes auf die Erdölproduktion zu konzentrieren, dies funktioniert halt einfach nicht.

JF: Die Wirtschaftsbeziehungen sehen also mittelfristig düster aus.

AM: Ich hoffe nur kurzfristig. Mittelfristig sehe ich noch viel Potenzial: Mexiko hat den großen Vorteil, eines der wenigen Länder im nordamerikanischen Markt zu sein, dass Rechtsicherheit im Markt hat. Das hat mittlerweile außer Kanada niemand mehr. Wenn Trump wiedergewählt wird, kann man davon ausgehen, dass der Rest der Welt weitere vier Jahre erleben wird, in dem der Zugang zum US-amerikanischen Markt jeder Zeit durch irgendwelche Ideen geblockt werden kann. Der neu verhandelte Handelsvertrag der NAFTA gibt uns mittelfristig Rechtssicherheit und das wird auch von der Regierung unterstützt. Dies ist Mexikos großes Asset. Vieles hängt an den USA, die von der Pandemie stark betroffen sind und wenn der Konsummarkt aufgrund der Pandemie-Krise zusammenbricht, trifft das Mexiko natürlich sehr hart. Aber mittelfristig wird die USA immer ein wichtiger Markt bleiben und da hat Mexiko immer einen starken Vorteil. Zusätzlich der beschlossene Freihandelsvertrag mit der EU. Dieses Dreieck ist gefestigt. Das kann Mexiko mittelfristig nur guttun.

JF: Mexiko ist nach wie vor stark vom Coronavirus betroffen. Welche wirtschaftlichen Folgen hat das Coronavirus mit sich gebracht?

AM: Als die Pandemie Mexiko erreichte und ausgebrochen war, wurde aus ungewissen Gründen wenig getestet. Wir wussten nicht, was die reale Situation ist. Unsicherheit ist natürlich immer Gift für die Wirtschaft. Die Arbeitsstruktur hat sich natürlich verändert. Viele Unternehmen arbeiten im Homeoffice. Mexiko ist ein sehr wichtiges Produktionsland für Deutschland und für die deutschen Unternehmen, dort ist das Thema richtig schwierig. Der Automobilsektor wurde als „essenziell“ deklariert. Dies hat geholfen, weiter zu produzieren, beispielsweise können Unternehmen wie Audi und Volkswagen wieder anfangen und wieder auf einem Niveau von 30% (der Belegschaft) zu produzieren. Das größte Problem liegt nun an der Nachfrage: an wen soll man Produkte verkaufen? Die USA hat mit der Pandemie zu kämpfen. Unter anderem Texas und Kalifornien sind für Mexiko sehr wichtige Märkte und beide Bundesstaaten sind von der Pandemie stark betroffen. In der Automobilindustrie kommt diese Krise gerade zum gesamten Wandel in Richtung Elektromobilität dazu und das macht das alles die nächsten Jahre natürlich nicht einfacher. Der zweite große Sektor in Mexiko ist die Chemie und Pharmazie. Hier haben wir ein anderes Bild. Die chemische Industrie produziert sehr viel für den Automobilsektor, sie ist dadurch auch sehr betroffen. Dagegen ist die Lage der pharmazeutischen Produkte entspannter und es besteht für diese Industrie kein großes Problem.

JF: Welche Perspektive sehen Sie für die deutsche-mexikanische Wirtschaftsbeziehungen?

AM: Wir sehen, dass unsere Unternehmen hier sehr gut produzieren, eine hohe Produktivitätsrate erzielen. Die Mexikaner sind unglaublich arbeits- und lernwillig und das passt unheimlich gut mit der deutschen Philosophie zusammen, mit zusätzlich den klaren Regeln, wie man arbeitet. Deswegen ist grundsätzlich die Zusammenarbeit auch in der Zukunft sehr positiv zu sehen. Wir gehen jedoch davon aus, dass die nächsten Monate und wohl auch die nächsten zwei Jahre sehr schwierig sein werden, es auch eine Übergangsphase geben wird. In der Idee des weltweiten Handels liegt eine klare Disruption vor. Man hat gesehen, dass man sich in der Region stärken muss, um bei solchen Krisen nicht abhängig zu sein. Die Entwicklung der Globalisierung der letzten zwanzig Jahre wurde gebremst. Nun wird es eine Regionalisierung geben. Aber: Mexiko bleibt für uns aufgrund der privilegierten geografischen Lage zu den USA und der starken Verbindung zu Europa, auch kulturell, sehr wichtig.

JF: Herzlichen Dank für Ihre Zeit und die besonderen Einblicke in diesem Interview im Namen des Jungen Forum für Außenpolitik.

Ein Interview zwischen Andreas Müller, stellvertretender Geschäftsführer der Außenhandelskammer in Mexiko und Florián Rey Fernández, Vorstand des Jungen Forums.

München, 29.06.2020

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